1. Zielgruppe
Massive Gewalterfahrungen, sexueller Missbrauch und gravierende Erfahrungen von Vernachlässigung etc. führen immer häufiger dazu, dass wir es in der Jugendhilfe nicht allein mit einer defizitären Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch mit erheblichen psychischen Störungen oder sogar mit psychischen Behinderungen zu tun haben.
Typische Krankheitsbilder wie z.B. Borderline Störungen, Depressionen und Essstörungen machen bei einer Mutterschaft einen stationären Rahmen mit intensiver Betreuung erforderlich. Die Auswirkungen dieser Erkrankungen auf die emotionale und körperliche Versorgung des Kindes sind so gravierend, dass sie die Qualität der Mutter-Kind-Bindung als Grundlage für eine gesunde Entwicklung des Kindes nachhaltig bzw. dauerhaft negativ beeinflussen können.
Ebenso verhält es sich bei Frauen mit geistiger Behinderung oder massiver Entwicklungsverzögerung, die nicht über ein tragfähiges soziales Netz verfügen. Ausgeprägte Defizite in den Bereichen Feinfühligkeit und Elternkompetenz machen eine Rundumbetreuung mit hohem personellem Aufwand sinnvoll und notwendig.
2. Pädagogische Arbeit
Wir versuchen den jungen Müttern die Möglichkeit zur Nachreifung und somit zur Weiterentwicklung ihrer Persönlichkeit zu ermöglichen. Innerhalb der Wohngruppe machen wir ihnen Beziehungs-, Beratungs- und Hilfsangebote, die sie für sich als verlässlich und fürsorglich erleben können.
Beziehungen und Bindungen werden nicht ausschließlich gemäß dem biologischen Alter durch Sprache, sondern entsprechend der tatsächlichen Bedürftigkeit durch Körperkontakt, Rituale etc. angeboten und aufgebaut. Vor diesem Hintergrund bieten wir den jungen Frauen vielfältige Möglichkeiten, versäumte Entwicklungsschritte aufzuarbeiten, um eher in der Lage zu sein, adäquate und verlässliche Beziehungen eingehen und klare Lebensperspektiven aufbauen zu können.
Erst der Vollzug dieser Entwicklungsschritte wird sie langfristig in die Lage versetzen, ihre Rolle als Mutter entsprechend auszufüllen und diesbezügliche Beratungs- und Hilfsangebote anzunehmen und umzusetzen. Sich darauf zu beschränken, die jungen Mädchen nur auf ihre neue Rolle hin als Mütter zu trainieren, die ihre Aufgaben entsprechend zu erfüllen haben, zeigt oftmals nur kurzfristigen Erfolg.
Während Frauen mit erheblichen psychischen oder intellektuellen Problemen neben einer therapeutischen Anbindung auch noch eine spezielle fachliche Begleitung und Betreuung innerhalb der Gruppe benötigen, brauchen ihre Kinder einen besonderen Schutz und intensive Fürsorge. Somit stellt auch die Betreuung dieser Kinder veränderte Anforderungen an das Mitarbeiterinnenprofil. Diesen speziellen Bedürfnissen versuchen wir auch durch ausgewähltes Fachpersonal wie Kinderkrankenschwestern und Kinderpflegerinnen gerecht werden.
3. Das 4 – Phasen Modell
Wir arbeiten nach dem folgenden 4- Phasen Modell, auf dessen Grundlage wir eine adäquate Hilfeplanung für Mutter und Kind realisieren und umsetzen werden.
In der Regel werden die jungen Mütter und ihre Kinder 4 Phasen in der Unterbringung und Betreuung durchlaufen, bevor sie vollkommen selbstständig und eigenverantwortlich in einer eigenen Wohnung leben werden oder in unserer Wohngruppe als stationäres Angebot langfristig betreut werden.
Unsere erweiterte Zielgruppe macht eine spezifische Differenzierung ab der 3. Phase notwendig. Das Intensivangebot beinhaltet die Phasen 1 bis 3, das Regelangebot bezieht sich ausschließlich auf die 4. Phase.
Phase 1:
Mutter und Kind werden getrennt untergebracht und schlafen nicht in einem Zimmer. Das Kind wird von Mitarbeiterinnen, die speziell dafür vorgesehen sind, verantwortlich betreut. In der Nacht gibt es neben der Nachtbereitschaft immer mindestens eine Mitarbeiterin im aktiven Nachtdienst, die für die Kinderbetreuung zuständig ist.
Die Mütter sind bei der Betreuung und Versorgung selbstverständlich willkommen. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Bedürfnisse werden sie mit einbezogen und gut angeleitet. Sie sind aber noch in keiner Weise allein verantwortlich und werden niemals mit dem Kind allein gelassen. Für das Kind wird so eine adäquate, prompte und zuverlässige Versorgung garantiert, die die Grundlage für eine spätere sichere Bindung und somit gesunde Entwicklung des Kindes darstellt.
Phase 2:
Wenn sich die Mutter als zuverlässig und liebevoll erweist, kann sie mit ihrem Kind ein gemeinsames Zimmer beziehen. Die junge Frau hat dann innerhalb der vorgegebenen Tagesstruktur die Möglichkeit, in der Gruppe ihr Kind selbst zu betreuen und zu versorgen. Dabei wird sie allerdings weiterhin kontinuierlich von einer Mitarbeiterin begleitet und auch in der Nacht mit einem Babyphone kontrolliert. Das bietet die Gewähr dafür, dass die Mitarbeiterinnen jederzeit Hilfestellung leisten können, falls dieses sich als notwendig erweisen sollte.
Obwohl in dieser Phase die Eigenverantwortung der Mutter gegenüber ihrem Kind gestärkt wird und die selbstständige Versorgung zunehmen soll, darf die Mutter das Haus mit dem Kind auch hier noch nicht ohne Begleitung verlassen.
Diverse, die Mutter-Kind Bindung unterstützende Angeboten, wie z.B. entwicklungs-psychologische Beratung, SAFE-Kurse und Elternkompetenztraining sind mittlerweile als Regelangebote wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit und für alle Frauen verbindlich. Eine detaillierte Darstellung hierzu findet sich im Konzept unter P. 4.2.
Zur Erlangung der notwendigen Versorgungskompetenz erfahren unsere Mütter eine spezielle Anleitung durch unser Fachteam, hier insbesondere durch die Kinderkrankenschwestern und die Hauswirtschafterin. So erhalten unsere Mütter ebenso selbstverständlich Kenntnisse über Entwicklungsschritte wie auch über Kinderkrankheiten.
Zudem werden sie durch regelmäßiges Einbeziehen in alle anfallenden Hausarbeiten sukzessive angeleitet in Haushaltsplanung und –führung.
Phase 3:
Um der weitgefassten Zielgruppe Rechnung zu tragen, die von einfach nur jungen Müttern über emotional benachteiligte, lern- und geistig behinderte bis hin zu massiv psychisch kranken Frauen reicht, halten wir eine differenzierte Ausgestaltung unseres Phasenmodell ab Phase 3 für unbedingt erforderlich.
Die Differenzierung erfolgt nach Typ A und B: In der 3. Phase erfolgt diese noch gruppenintern, ab Phase 4 wird diese die Differenzierung auch räumlich vollzogen:
Typ 3A greift bei jungen und / oder benachteiligten Mütter, die in einem angemessenen Zeitrahmen dazu befähigt werden können, selbstständig mit ihrem Kind in einer eigenen Wohnung zu leben.
Typ 3B richtet sich an Mütter, die zwar auch eine erhaltenswerte Bindung zu ihrem Kind aufgebaut haben, aber aufgrund komplexer Problemlagen in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein werden, mit dem Kind selbstständig zu leben.
Der Wechsel in die 3. Phase bzw. die Einstufung in den entsprechenden Typ A oder B setzt immer eine ausführliche Fallbesprechungen und eine teamübergreifende kollegiale Beratung voraus.
PHASE 3: Typ A
Sind die Mitarbeiterinnen in einer ausführlichen Fallbesprechung und team-übergreifenden kollegialen Beratung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Bindung zwischen Mutter-Kind sicher ist und die junge Frau über die nötigen Kompetenzen zur Versorgung des Kindes verfügt und kann man davon ausgehen kann, dass sie nur noch wenig Unterstützung und Kontrolle bei der eigenverantwortlichen Pflege des Kindes benötigt, wird das Babyphone entfernt.
Die in Phase 2 erlernten bzw. eingeübten und dort noch engmaschig begleiteten Fähigkeiten und Fertigkeiten, die unverzichtbare Voraussetzung für eine selbstständige Lebensführung sind, werden in diesem Rahmen weitergefestigt und verinnerlicht.
Mutter und Kind nehmen zwar nach wie vor noch an Gruppengeschehen- und angeboten teil, leben dann aber schon sehr selbstständig und eigenverantwortlich innerhalb der Gruppenräume und ihres Zimmers.
Konkret bedeutet dies u.a.:
- unbegleiteter Ausgang mit dem Kind
- unbegleiteter Kinderarztbesuche (Schweigepflichtentbindung)
- selbstständiges Verwalten der Gelder und Führen eines Haushaltsbuches
- eigenverantwortliche Übernahme hauswirtschaftlicher Teilbereiche
- Führen von Elterngesprächen in Kindergarten o. Schule
- Aufbau und Pflege eines sozialen Netzwerkes
In dieser Phase liegt der Fokus der pädagogischen Arbeit mit den einzelnen Frauen auf der beruflich ausgerichteten persönlichen Perspektivplanung und (Weiter-) Entwicklung.
PHASE 4 Typ A:
Ist die junge Mutter in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, in der Versorgungs-kompetenz und in den Bereichen der lebenspraktischen Fähigkeiten gefestigt und die Mutter-Kind-Beziehung angemessen entwickelt, so kann der Umzug in ein(e) zur der Einrichtung gehörende(s) Trainingsappartement/-wohnung durchgeführt werden. Die Bezugsbetreuerin ist nach wie vor fallverantwortlich tätig, sie begleitet und berät die junge Familie weiterhin.
Das selbstständige Leben wird intensiv trainiert. Die Teilnahme an hausinternen Gruppen bzw. Kursen ist ebenso verpflichtend wie die an angeleiteten Spielangeboten und wird im Hilfeplan verbindlich vereinbart.
Die 4. Phase Typ A endet nach einer abschließenden kollegialen Fallbesprechung mit dem Auszug in eine eigene Wohnung.
PHASE 3 Typ B:
Sind die Mitarbeiterinnen in der ausführlichen Fallbesprechung zu dem Schluss gekommen, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind sicher und damit erhaltenswert ist, die Frau allerdings aufgrund massiver persönlicher Defizite bzw. Störungen absehbar nicht in der Lage sein wird, dem Kind eigenverantwortlich einen sicheren Rahmen bieten zu können, greift der Typ B der 3. Phase.
Auch bei diesen Frauen geht es ebenso um eine Festigung des bisher Erlernten, wie um die Erlangung größtmöglicher Selbstständigkeit.
Angepasst an die individuellen Möglichkeiten wird den Frauen mehr Freiraum im Umgang mit ihrem Kind zugestanden und mehr Verantwortung übertragen. Dies kann bedeuten, dass die Mutter selbstständig
- den Nachmittag gemeinsam mit ihrem Kind draußen verbringen kann.
- bestimmte Gelder, wie z.B. Bekleidungsgeld, einteilen und ausgeben kann.
- hauswirtschaftliche Aufgaben erledigen kann.
- die Aufsteh- und Bettgehsituation mit ihrem Kind gestaltet.
Das verlangt durchgängig eine intensive Begleitung und Beratung der Mütter, die aufgrund ihrer intellektuellen Einschränkungen und/oder psychischen Beeinträchtigungen besonders störanfällig sind, so dass schon normale Anforderungen des täglichen Lebens große Herausforderung darstellen und unvermittelt Krisen auslösen können.
Wenngleich es auch bei diesen Müttern darum geht, ihnen ein größeres Maß an Eigenverantwortung zu geben, müssen wir vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Defizite besonders darauf bedacht sein, das Kindeswohl angemessenen zu berücksichtigen und den dafür notwendigen individuellen Rahmen vorzuhalten.
PHASE 4 Typ B:
Dementsprechend geht es in dieser Phase nicht vorrangig um das Trainieren des selbstständigen Lebens, sondern vielmehr darum, einen auf Langfristigkeit angelegten Lebensort zu schaffen, der die Autonomiebestrebungen und Ressourcen der Mütter angemessen berücksichtigt und dennoch einen Betreuungsrahmen gewährleistet, der den Bedürfnissen der Kinder gerecht wird.
Dabei richtet sich die Ausgestaltung der Hilfeplanung auch hier nach den individuellen Problemlagen, immer mit dem Ziel, Mutter und Kind ein angenehmes Leben zu ermöglichen, das System dauerhaft stabil zu erhalten und dem Kind den benötigten sicheren Rahmen zu gewährleisten.
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Besondere Angebote:
- Entwicklungspsychologische Beratung (EPB)
- Mütter-Cafe (FUN-Baby,SAFE)
- Elternkompetenztraining
- Therapeutische Einzelgespräche
- Freizeitpädagogische Angebote
- Ressourcenorientierte Arbeit mit dem Herkunftssystem